Der Sammler vom Maderanertal

«Aufgewachsen bin ich in einer Wirtefamilie. 50 Jahre führte meine Mutter das Gasthaus Edelweiss in Golzern. In Bristen wohnten wir im oberen Stock des Restaurants Alpenblick. Ein Haus, das meine Urgrosseltern 1903 eröffnet hatten, auf dem später meine Grosseltern und mein Onkel wirteten» , erzählt Adrian Tresch. «Gegenüber des ‹Alpenblicks› stand ein kleiner Kiosk. Dort wurden Postkarten, Kristalle, Souvenirs, Schokoladen und Süssigkeiten verkauft. Längst war der Kiosk geschlossen. Als ich einmal in verstaubten Kartonschachteln herumstöberte, entdeckte ich unzählige alte Schwarzweiss-Postkarten, die mich sofort in den Bann zogen. Ansichten von Bristen, dem Golzernsee oder dem Hüfigletscher. Vertraut und doch irgendwie fremd.»

 

Leidenschaft für Fotografie

«Ab 1980 begann ich intensiv Postkarten zu sammeln», sagt Adrian Tresch. «Diese Schwarzweiss-Ansichtskarten faszinieren. Und das Besondere: es sind Originalfotos, keine Drucke! Ständig auf der Suche nach Postkarten aus dem Maderanertal besuchte ich Sammlerbörsen und Messen in der Westschweiz, Basel oder Zürich.»

Entdeckt wurden die Alpen Anfang des 19. Jahrhunderts von reichen jungen Adeligen aus England. Sie reisten nach Abschluss ihres Studiums durch Europa und durch die Schweiz. Auch in die Zentralschweiz. Mutige Alpinisten wagten zahlreiche Erstbesteigungen. 1863 gründeten junge Bergbegeisterte in Olten den Schweizerischen Alpenclub. 1864 erbauten Albin und Rosa Indergand-Burkhardt im Maderantertal das Hotel «zum Schweizerischen Alpenclub». Sektionen des SAC eröffneten die Hüfihütte (1899) und die Etzlihütte (1911), der Akademische Alpenclub Zürich die Windgällenhütte (1906). Auch zahlreiche Fotografen, wie Josef von Matt aus Altdorf, Emil Synnberg und Otto Pfeiffer aus Luzern, Jean Gabarell und Hugo Kopp aus Zürich, waren im Maderanertal mit ihren schweren Grossformatkameras unterwegs. So entstand im Lauf der Jahre eine grosse Vielfalt von Ansichtskarten. Hütten, Kioske, Läden und Gasthäuser waren zum Teil Auftraggeber und dienten auch als Verkaufsstellen für die Postkartenverlage der Fotografen.

Fasziniert von diesen Postkarten, begann Tresch bereits während der Lehre zu fotografieren: «Eine Minolta XG1, eine Spiegelreflexkamera, war mein erster Fotoapparat. Später fotografierte ich mit der Rollei SE, den Leicas M9 und X1 oder mit der Canon EOS 5D, meiner ersten Digitalkamera.“ So war Tresch immer auf der Höhe der neuesten technischen Entwicklungen, stets auf der Suche nach neuen Landschaftsmotiven und Perspektiven. Die Fotografie vergleicht er mit einer anderen Leidenschaft – dem Strahlnen. Besonders faszinieren ihn die Veränderungen von Ortschaften, der Vergleich von gestern und heute.

 

Der Amateurfotograf Ferdi Wydler

In den 1960er- und 1970er-Jahren war der Lokomotivführer und Amateurfotograf Ferdi Wydler aus Zürich im Maderanertal unterwegs. Durch den Bristner Pfarrer Otto Rutz, mit dem er im Militärdienst war, entdeckte er das Maderanertal. Jeden Sommer verbrachte er mit seiner Familie die Ferien im Bergdorf Bristen. Seine Porträts von Menschen bei der Arbeit, von Kindern auf dem Schulweg, von Frauen beim Waschen oder von Älplern im Etzlital sind heute wertvolle Zeitdokumente. Wydler verstand es, Kontakte zu knüpfen. Er interessierte sich für die Menschen im Tal. Er wollte den Alltag und das Leben in Bildern festzuhalten. Ferdi Wydler zeigte seine Bilder in den Restaurants von Bristen, machte Diaabende mit Vertonung. «Alle kamen gerne an diese Vorträge», erinnert sich Tresch. «Besonders die Porträtierten freuten sich, waren stolz. Dass jemand von Ihnen Bilder gemacht hatte und sie gross auf eine Leinwand projizierte, war etwas Ausserordentliches. Davon zeugen diese Porträts. Die Bristnerinnen und Bristner sind zufrieden, strahlen eine innere Ruhe und Freude aus. Man fühlte sich als Teil einer Gemeinschaft, die Lebensumstände waren schwierig und trotzdem schön.»

Jahre später übergab Ferdi Wydler seine Diasammlung an Adrian Tresch. «Es war ihm wichtig, dass seine Bilder wieder ins Maderanertal kommen, an den Ort, an dem seine Fotografien entstanden waren.»

 

Die Gäste sollen sich wohlfühlen

Adrian Tresch führt das Gasthaus Edelweiss in Golzern. Er versteht sich als Gastgeber. Es ist ihm wichtig, dass der Gast gut aufgehoben ist und sich wohlfühlt. «Das Edelweiss hat eine lange Geschichte», erzählt Adrian Tresch. «In Golzern war es früher üblich, dass die Bauernfamilien ihre Häuser im Sommer an Touristen vermieteten. So kamen sie zu einem kleinen Nebenverdienst. Auch meine Grosseltern kauften in Golzern ein Bauernhaus und vermieteten es als Ferienheim Erika. Ab 1961 wurde es durch meine Mutter als Gasthaus weitergeführt, 1999 umgebaut und vergrössert. Seit 2011 führe ich das Restaurant als Pächter in der dritten Generation.»

Adrian Tresch erinnert sich gern an eine Anekdote seiner Urgrosseltern: «Mein Urgrossvater war Strahlner und Holzer. Seine Frau führte das Restaurant Alpenblick. Weil sie aber kein Wirtepatent besass, wurde sie häufig gebüsst. Mein Urgrossvater, auch Landrat, zahlte jeweils in Altdorf die Busse. Das war ihm peinlich. Die Urgrossmutter beschloss darauf die Angelegenheit zu regeln. Sie ging nach Altdorf und erklärte: Sie wolle den Touristen nachdem langen Aufstieg von Amsteg nach Bristen doch nur ein Getränk anbieten. Wenn sie das Patent nicht bekäme, würde sie den Gästen die Getränke gratis abgeben, aber für den Sitzplatz Geld verlangen.» Schliesslich wurde ihr die Bewilligung erteilt.

 

Adrian Tresch ist es ein Anliegen, historische Fotografien und Postkarten für die Nachwelt zu erhalten. «Ich besitze bereits eine umfangreiche Sammlung von Postkarten und Fotografien aus dem Maderanertal. Aber manchmal entdecke ich im Internet noch etwas Neues.»

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Leuchtturm Hotel Alpenblick