Der Bilderjäger

Er muss kein Patent lösen, weder für die Hochwild- noch für die Niederwildjagd und er kennt keine Banngebiete. Sein bevorzugtes Revier – der Kanton Uri. Ruedi Gisler sammelt historische Fotografien aus dem Kanton Uri.

Es fällt Ruedi Gisler leicht Kontakt zu knüpfen. Er ist freundlich, hilfsbereit und immer für einen Spass zu haben. Seit 50 Jahren wohnt er in Basel. Ruedi Gisler ist Exil-Urner, 1947 in Bürglen geboren, Sohn eines Metzgers und Hoteliers. Mehrmals wechselte er mit der Familie den Wohnort. In Göschenen führten seine Eltern das Hotel Krone. Am 2. Juni 1956 erlebte er als 7-jähriger die Einweihung der neuen Teufelsbrücke. 1962 zog die Familie Gisler von Muralto nach Erstfeld. Seine Eltern übernahmen das traditionsreiche, 1883 erbaute Hotel Hof. Der ganze Gotthardverkehr passierte das Dorf, man ass z’Mittag im «Hof», im «Hirschen», im «Frohsinn» oder im «Fisch». Pufferknallen, Bremsenkreischen, grelle Pfiffe – im Bahnhof Erstfeld war Tag und Nacht Rangierbetrieb. Gütterzüge ratterten bergwärts, Schnellzüge rauschten vorbei. Die Bahn war der grösste Arbeitgeber, das Dorf blühte.

 

30 Jahre Suche für ein Bild

«Der neugegründeten Pfadi Krönten stellte mein Vater im Hotel Hof als Lokal einen Teil des Estrichs zur Verfügung», erzählt Ruedi Gisler. Sein Vater stellte nur eine Bedingung: «Ich musste mit meinem Bruder den Estrich über der Kegelbahn entrümpeln und Ordnung machen. Dort stiess ich plötzlich auf ein Tableau der Locomotivheizer der Gotthardbahn, 1893. Ich habe das Bild aber nicht fortgeschmissen. Das Tableau faszinierte mich, ich habe es geputzt und durfte es mit Erlaubnis meiner Mutter im Treppenhaus des Hotels Hof aufhängen. Nachdem meine Eltern das Hotel verkauft haben, habe ich das Bild aus den Augen verloren.»

Von 1966 bis 1969 machte Ruedi Gisler eine Lehre als Chemielaborant bei der Dätwyler AG in Altdorf. Danach arbeitete er in der Firma Ciba in Basel, zuerst als Laborant, später als Laborleiter.

 

«1977 habe ich ‹mein› Tableau im Erstfelder-Buch wiederentdeckt, im Bildnachweis stand der Name meines Vaters, Alois Gisler. 1984 fand ich das Bild wieder im Buch ‹Uri damals› von Karl Iten. Im Bildnachweis stand ‹Hotel Fisch, Erstfeld.› Ruedi Gisler nahm die Fährte auf und kontaktierte verschiedene Personen unter anderem auch SBB-Historic. Die Suche blieb erfolglos. Bis er im Frühling 2019 vom Bauernhausforscher Benno Furrer einen Hinweis erhielt. Sein Vater, der Lokführer Robert Furrer, habe zwei Tableaus, welche sich im Elternhaus in Erstfeld befänden. Ein paar Tage später fuhr Ruedi Gisler zu Markus Furrer (Bennos Bruder) und schaute sich die Bilder an – sie waren riesig. Ruedi Gisler konnte die beiden Tableaus übernehmen. Auch der ehemalige Erstfelder Hotelier Paul Jans hätte noch ein Tableau daheim, erfuhr Ruedi Gisler. Er mietete einen Bus, holte die beiden Bilder von Markus Furrer ab und fuhr dann nach Erstfeld zu Paul Jans. «Als ich das Wohnzimmer betrat, verschlug es mir den Atem! Da stand doch tatsächlich das Tableau der Gotthardbahn, das ich 30 Jahre gesucht hatte!»

 

Teufelsbrücke entzündete die Sammelleidenschaft

Als Ruedi Gisler 1970 an der Herbstmesse in Basel einen Stich mit zwei Teufelsbrücken entdeckte, war seine Sammelleidenschaft geweckt. Er besuchte Börsen und Antiquitätenhändler. 2005 erschien sein erstes Buch, «Die Teufelsbrücke am St. Gotthard», im Verlag Gisler, Altdorf. Längst hatte er jedoch mit dem Sammeln von historischen Fotografien begonnen: eine Fotografie der Teufelsbrücke hatte bei ihm eine neue Sammelleidenschaft entzündet. Dies war der Anstoss zum Sammeln von historischen Fotografien aus dem Kanton Uri. «Einmal brachte mir ein Antiquitätenhändler ein Foto von der Teufelsbrücke. Ich habe es eigentlich nur widerwillig gekauft. Bis ich die Fotografie später wieder hervorholte und sofort fasziniert war. Die hundertjährige Fotografie war ein reales Abbild! Von da an waren Stiche für mich nicht mehr interessant», sagt Gisler. Dabei hatte es ihm besonders die im 19. Jahrhundert populäre Stereofotografie angetan. Die Stereofotografie, aufgenommen mit einer Kamera mit zwei Objektiven, erzeugt zwei Bilder, aus zwei Blickwinkeln. Bei der Betrachtung der beiden Fotografien mittels eines speziellen optischen Geräts, dem Stereobetrachter, entsteht eine räumliche Illusion. Aus hunderten von Stereofotografien entstand Gislers zweites Buch: «Raumbilder von anno dazumal», 2009. Diese Sammlung mit rund 800 Stereofotos ist im Staatsarchiv Uri archiviert.

 

Daguerrotypie und Kalotypie

Historische Fotografieren sind Zeitreisen in eine längst vergangene Welt, in die Postkutschenzeit zum Beispiel. Ruedi Gisler, ehemaliger Laborant, ist besonders interessiert an den ältesten fotografischen Verfahren, wie die Daguerrotypie. Dabei wird eine versilberte Kupferplatte mittels Joddampf lichtempfindlich gemacht, nach der Belichtung in Quecksilberdampf entwickelt und mit Natriumthiosulfat fixiert. Jedes Bild ist ein Unikat. Bei der Talbotypie, von Henry Fox Talbot (1800–1877) entwickelt, wird Schreibpapier mittels Silbernitrat und Kochsalz lichtempfindlich gemacht. Nach der Belichtung (1 bis 8 Minuten) in Pyrogallol entwickelt und mit Natriumthiosulfat fixiert. Dieses Negativ wird durch Wachsen transparent gemacht und als Salzpapierabzug ab Papiernegativ zum Positiv umkopiert. 1841 war es erstmals in der Geschichte der Fotografie möglich von einer Aufnahme mehrere Abzüge herzustellen.

 

Kontakt zu Sammlern weltweit

Gisler sucht beharrlich nach weiteren historischen Fotos aus dem Kanton Uri. Er besucht Börsen, tauscht mit Sammlern. Inzwischen lagern in seinem Haus in Basel wieder weit über 1000 Fotos, darunter auch Trouvaillen wie die von Hand kolorierten Grossdias aus den 1920er-Jahren. Zwar besucht Gisler nach wie Börsen, seine Recherchen sind jedoch längst global: «Mein Tag beginnt mit der Online-Suche nach neuen Fotografien aus dem Kanton Uri im Internet. Auf den bekannten Seiten wie ricardo oder ebay, aber auch auf vielen, speziell auf historische Fotografie spezialisierte Plattformen.» Angebote mit Fotos aus Uri erhielt er schon aus Griechenland, Spanien oder Uruguay. Auch im Internet ist Ruedi Gisler mit seiner Seite www.teufelsbruecke.ch präsent. Dort hat er die Geschichte der Urner Fotografenpioniere aufgearbeitet – zum Beispiel von Robert Z’Berg, Gottfried Gassler, Karl Küchler oder von der Fotografen-Dynastie von Matt.

 

Zurzeit arbeitet Ruedi Gisler an seinem neuen Fotoband «Historische Fotografie in Uri», der nächstes Jahr erscheinen wird. Deshalb reist Gisler öfters von Basel in den Kanton Uri. Und jedesmal, wenn er vom Seelisbergtunnel Richtung Altdorf fährt, bekommt er beim Anblick des Bristens ein wenig Herzklopfen.

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