Wir sangen wie die Dohlen

Liedtexte werden projiziert

Im Gasthaus wird der Saal für den Singabend vorbereitet, die Liedtexte werden projiziert. Die junge Wirtin Sereina Wicki und die Serviertochter Anja Günther aus Leipzig installieren eine fünf Meter breite Leinwand – ein grosser Blachen. Von Hektik keine Spur, es wird improvisiert. «Wohin mit dem Beamer und dem Laptop?», fragt Irene Mattli. Das Bild ist zu klein, der Laptop im Weg. Sereina Wicki hat schnell eine Idee. Handwerklich geschickt, bohrt sie mit dem Akkubohrer vier Löcher für die Ringschrauben in die Decke und hängt daran mit vier Kabeln den Beamer. Das passt. Bald kommen die ersten Gäste. Die beiden Initiantinnen des Liederabends, Marlène Mattli und Marianne Loretz-Mattli, wählen die Lieder aus. Von vielen alten Göschenerälpler-Liedern haben sie zwar den Text, aber keine Noten. Darum haben sie sich die Lieder vom 85-jährigen Paul Mattli vorsingen lassen und die Aufnahmen auf dem Natel gespeichert.

Singen bis tief in die Nacht

Um 20 Uhr eröffnet Markus Mattli im Saal den Singabend, über 40 Personen sind anwesend. Etwa Konrad und Alice Mattli und ihre Grosskinder oder Max und Jolanda Mattli. Einige Bekannte und Verwandte sind von Silenen, Erstfeld oder von Bauen angereist. Zum Auftakt spielt Philipp Betschart zwei Stückli auf seiner Handorgel. Als erstes singt man das «Göschenerälplerlied», es folgen «An den Ufern des Mexiko Rivers», «Das alte Försterhaus» und weitere Jäger-, Soldaten und Lumpenlieder. Max Mattli wird mit einem «Happy Birthday» geehrt – er feiert heute seinen 76. Geburtstag. Auch «Zoogä-n-am Boogä» darf nicht fehlen. Beim «Puuräbiäbli» hängt man sich ein und beim Refrain «Nach ufe, nach abe, nach rechts, nach links, nach hinderä, nach füra, nach rächts, nach links» – sind alle in Bewegung... Die Hotelgäste, eine Familie aus Honduras, die im Restaurant ihr Abendessen einnimmt, freut sich. Eine Frau fragt, ob sie filmen dürfe...

Ab und zu macht ein Schnupf die Runde und Marianne Mattli-Loretz filmt die ausgelassene Stimmung mit ihrem Natel. Es wird zwei Uhr morgens, bis die Letzten nach Hause gehen.

 

Wir konnten die Lieder auswendig

Die älteren Göschenerälpler, wie der 85-jährige Paul Mattli, konnten unzählige Lieder auswendig. Auf der Hinteralp wurde bereits in der Schule viel gesungen, dies haben die Schülerinnen und Schüler an den strengen Lehrern geschätzt. Der Lehrer und Kaplan dirigierte auch den Kirchenchor. Der Chor sang vierstimmig, Heinrike Mattli, eine Tante von Paul und Konrad Mattli, begleitete auf dem Harmonium.

«An Weihnachten sangen wir die alten Weihnachstlieder, die man heute kaum mehr kennt», erzählt Konrad Mattli.«Am 20. Januar, dem Baschitag und am 24. Februar, dem Sankt-Mathis-Tag haben die Familien Spyys (Hauskäse, Würste und Trockenfleisch) mitgebracht und wir haben zusammen im Gasthaus Göscheneralp gesungen. Viele Lieder stammten aus dem Walser-Liederbüchlein. Nach der Maiandacht sang man immer im Plätzi, dem Platz vor dem Gasthaus Göscheneralp.» Nicht nur an kirchlichen Feiertagen wurde gesungen: Wenn eine Triste fertig war, hat man gejuzzt. War im Spätsommer das letzte Wildheu gemäht, gab es das Wildheuerbälti – den Wildheuerball. Kam der Pöstler mit der Post auf die Alp, hat er gejutzt. «Man sang auch bei der Arbeit, zum Beispiel beim Graben der Kartoffeln. Wir haben gesungen wie die Dohlen», erinnert sich Konrad Mattli. 1962 musste die Siedlung auf der Hinteralp dem ­Göscheneralp-Stausee weichen. Mensch und Tier fanden ein neues Zuhause in der benachbarten Alpsiedlung Gwüest. Dort hat die Familie Mattli das neue Gasthaus Göscheneralp gebaut.

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